Jetzt ist es schon eine Weile her, seit ich das anspruchsvollste Rennen meines Lebens gelaufen bin… Sorry, es hat eine Weile gedauert, aber dafür bekommt ihr jetzt einen gut reflektierten Rückblick mitten aus der Vorbereitung für den Transalpine Run!
„Es ist wie Kaiserkrone Skyrace, nur dreimal so lang und ein bisschen technischer!“, versuchte mich mein guter Freund (und nordspanischer Lokalmatador) Xuan vor einem Jahr zu überzeugen, mich diesen 77 km und 6500 hm im Herzen von Asturias, Spanien, zu stellen. Es brauchte nicht viel Überredungskunst. Nachdem ich mich 2023 vor allem auf das sub 3h Marathon-Ziel konzentriert hatte, war ich gleich hin und weg von der Trail-Herausforderung.
Ein halbes Jahr später kam dann die große Ernüchterung. Nicht nur hatte ich mir zu Weihnachten beim Gang aus dem Fitnessstudio eine Sehnenverletzung zugefügt. Nein, ich war auch nicht unter den Glücklichen, die einen der heißbegehrten 450 Startplätze gewonnen hatte. Entmutigt schrieb ich Xuan ein „Naja, zum Urlaub komme ich aber trotzdem“ – und musste mir erstmal erklären lassen, dass ich über die ITRA-Punkteliste schon lang gesetzt war. Mein 12 Jahre altes A1-Spanisch war wohl etwas eingerostet. Was sich auch vor Ort zeigen sollte.
Und so stand ich an einem feuchtkalten Samstagmorgen um 02:00 im ersten Startblock im geschichtsträchtigen Bergdorf Covadonga. Genau hier begann vor gut 1300 Jahren die Vertreibung der Mauren aus Spanien. An diesem Morgen galt aber weniger Schlacht- als vielmehr Festzeltstimmung! Gefühlt halb Asturias bevölkerte die Straßen, die Bars schoben eine Extraschicht, und für die musikalische Unterhaltung sorgte ein Dudelsackspieler, der sehr kreativ ACDC spielte.
Los ging’s auch gleich in knackigem Tempo. Viel zu schnell für mich, vor allem nach verletzungsbedingt suboptimaler Vorbereitung. Ich ließ mich zurückfallen und nahm in Kauf, dass ich ab km 3 auf Singletrails im Stau stecken würde. Und im Schlamm. 1500 Höhenmeter nichts als Schlamm, Kuhfladen und glitschiges Gras, bis es endlich in steiniges Gelände ging. Mein Selbstvertrauen wuchs – meine Beine fühlten sich super an, ich hatte Spaß (oder Galgenhumor?), und ich begann Läufer zu überholen.
Pünktlich zum ersten Gipfel (+2500 Meter) zeigte sich auch das erste Morgengrauen am Himmel. Es war wohl der schönste Sonnenaufgang, den ich je gesehen habe, vor einer spektakulären Kulisse aus messerscharfen Bergspitzen – und in einiger Entfernung, dem glitzernden Meer. Leider konnte ich das Spektakel kaum genießen, denn ich musste meine Augen fest auf den super technischen Downhill richten.
Doch was hatte mir der freiwillige Helfer gerade zugerufen? War ich sechste oder sechzehnte oder sechzigste Frau? Keine Ahnung. Was stand da auf dem Warnschild? Keine Ahnung. Spricht hier irgendjemand Englisch? Fehlanzeige. Naja, egal. Lächeln und gracias sagen, und das viele viele Male… denn so viele Freiwillige wie in diesem Rennen hatte ich wohl in all meinen Trailrennen zusammen noch nicht gesehen! Und jeder einzelne feuerte uns Läufer überschwänglich an! Man merkte vom Startschuss bis zum Zieleinlauf, dass die Traversera ein Riesen Event für die Gegend ist. Mich motivierte das immens.
Aber zurück zum Kurs. Aus Geröllfeldern und Schutthalden wurden steile Singletrails, dann ging es durch übermannshohe Farnwälder mit null Sicht auf den Trail, und endlich über flowige Wanderwege zur ersten Verpflegung. 2500 hm rauf, 2500 hm runter, 20 km. Warmup abgehakt.
Und schon ging’s wieder bergauf. 2700 hm diesmal, nie unter 20 %. Genau mein Gelände. Ich überholte die Dame #5 (aha, doch top 10!) und wechselte sogar ein paar Worte mit #4, bevor ich sie ziehen ließ. Der Weg wurde immer steiler. Die Frequenz der „Piedra!“ („Stein!“) Rufe war besorgniserregend, und die letzte halbe Stunde war ein einziger Kampf gegen das Geröll. Zwei Schritte vorwärts, einer zurück. Aber dann, endlich, der Blick über die Kante und auf den gigantischen Felsbrocken Uriellu, das Wahrzeichen der Gegend. Was für eine Schau!
Der Kurs führte nun zum Fuß des Uriellu hinab, um den Berg herum, und durch einen brütend heißen Kessel hinauf zur Collada Bonita (die ihren hübschen Namen absolut verdient!). Für musikalische Untermalung sorgte der Dudelsackspieler vom Start, unterbochen von „SONJA! SONJA!“-Rufen. Der Musikant war in der Tat ein super Läufer, und zudem hatte auch Xuan meinen armen, eher durchschnittlich fitten Freund Reuben über Nacht auf diesen zweiten Hochpunkt des Rennens gezogen. Ich war kurz vorm Weinen, so sehr freute ich mich!
Aber nun stand wieder ein sehr langer Downhill an. Meine Knie waren zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr arg glücklich, aber zu meiner Verwunderung traf ich bei der Verpflegung im Tal sogar wieder #4 der Damenkonkurrenz. Ich behielt sie noch den nächsten vertikalen Kilometer knapp vor mir, doch dann hatte sie die besseren Beine.
Eigentlich dachte ich, nun sei das Rennen geschafft. Noch 20 km und überwiegend bergab, vieles sah auf dem Papier sogar laufbar aus. Aber bald begann ein nicht enden wollendes Auf und Ab aus kleinen Hügeln. Diese waren nicht groß genug für den Maßstab der Karte, aber sie kosteten zu diesem Zeitpunkt immens Kraft. Und je weiter es nach unten ging, desto heißer wurde es.
So war ich ganz schön platt, als ich endlich auf das Ziel zulief. Aber auch suuuuper glücklich. Ich war den ganzen Tag von einem Highlight zum nächsten gelaufen, war sturzfrei durchgekommen, und hatte meine geschätzte Zeit um fast 3 Stunden unterboten. 15 h 21 min waren es am Ende, und mit Platz 5 durfte ich sogar zur Siegerehrung. Oder besser, musste ich. Denn bei diesem Rennen wird gnadenlos disqualifiziert, wer auf dem Stockerl fehlt :O
Es siegte Maud Combarieu (Frankreich, 13:44) vor Claudia Gutierrez (Spanien, 13:59), Sabrina Solana (Andorra, 14:56) und Maria Irigoyen (Spanien, 15:03). Bei den Herren siegte Manuel Merillas in unglaublichen 10:18. Zwei Wochen später sah ich ihn beim Kaiserkrone Skyrace wieder, wo er sich den Sieg holte, und ich mich über Platz 10 in meinem ersten Weltcup-Rennen freuen durfte!
Nächstes Ziel: Transalpine Run mit Lauftreff-Kollegen und Trainingspartner Thomas Lindorfer!